Bimbo's Blog

19 Mai 2008

Ein bewegender Moment

Gerade sind wir von draußen zurückgekehrt. Alle unsere Team-Mitglieder sahen es als selbstverständlich an, dass wir dem chinesischen Volk ebenfalls unser Beileid bekunden. Um 14:28 Uhr Ortszeit blieben an der Kreuzung vor unserem Bürogebäude alle Fahrzeuge und Menschen für 3 Minuten stehen, Sirenen und die Hupen der Fahrzeuge ertönten. Alle Menschen hielten inne, um den Opfern des schrecklichen Erdbebens vor genau einer Woche in der Provinz Sichuan zu gedenken. Ein wirklich bewegender Moment.

01 Mai 2008

Auf dem Land - Teil 2

Als wir das Grab ihres Vaters verließen, traf Helen ihre Tante, die uns spontan zum Mittagessen einlud. Auch wenn Helen meinte, wir könnten der Tante nicht zur Last fallen, wollten wir sie nicht brüskieren und versprachen, bei ihr vorbei zu schauen. Vorher wollte uns Helen aber noch das Haus zeigen, in dem ihr Vater bis zu seinem Tod gelebt hatte und das 6 Monate vorher bezogen wurde. Also muss es ca. 10 Jahre alt sein. Als wir dann allerdings ankamen waren wir doch etwas erschrocken. Nach der Bausubstanz zu urteilen hätte ich das Haus auf mindestens 40 Jahre geschätzt. Es war seit der Errichtung nirgendwo mehr Hand angelegt worden. Alles zeigte bereits Spuren des Verfalls: der Putz bröckelte überall ab, die Stufen zur Terrasse waren beschädigt und zerbröckelten und innen war alles ziemlich runter gewirtschaftet. Ein Vergleich mit unserem Reihenhaus in Schwerin, das nun knapp 15 Jahre alt ist, überhaupt nicht möglich. Auch in diesem Haus gab es kaum Möbel, das einzige größere Stück war so etwas wie ein Familienaltar. Helen jedenfalls war glücklich, uns das Haus ihres Vaters zeigen zu können, das ihre Mutter allerdings ein paar Jahre später verkaufte. Auf dem Weg zu ihrer Tante kamen wir auch an dem Haus, oder besser der Lehmhütte vorbei, in der Helen geboren wurde. Die war nun nicht mehr bewohnt. Unterwegs zu ihrer Tante lag der übliche Müll auf den Wegen und ab und zu kam man auch an der Rückseite eines Plumsklos vorbei, das nach Aussehen und Geruch noch voll in Benutzung war. Von ihrer Tante wurden wir überschwänglich begrüßt und ins Haus gebeten. Eigentlich war es hier noch deprimierender als im ehemaligen Haus von Helens Vater. Im Aufenthaltsraum standen einige sehr unterschiedliche Stühle oder auch Plastikhocker und ein Tisch. An einer Wand befand sich der Familien- oder Hausaltar. Ansonsten gingen von dem Raum einige andere Zimmer ab, die zum einem als Schlafraum, aber auch als Abstellraum oder Schuppen dienten. Nach oben hin war der Raum offen bis unters Dach. Wie die Menschen hier den kalten Winter überlebt haben ist mir ein Rätsel. Helens Tante servierte uns trotz der ärmlichen Einrichtung ein schmackhaftes Mittagessen und wir hielten uns noch eine Weile im kühlen Haus auf. Bei dieser Gelegenheit erzählte uns Helen vom Denkmal für ca. 70 von den Japanern als Vergeltung ermordeten Dorfbewohnern. Sie wurden erschossen oder bei lebendigem Leib begraben weil zwei Chinesen einen japanischen Soldaten, der eine Chinesin vergewaltigen wollte ihrerseits ums Leben brachten und ihn in einem See versenkten. Auf dem Weg zum Denkmal passierten wir noch Helens Grundschule, die jetzt eine verlassene, aber ummauerte Ruine war. So lange konnte es allerdings nicht her sein mit dem Einsetzen des Verfallsprozesses, denn auf dem Dach der Schule war eine große Satellitenempfangs-Schüssel montiert. Vom Standort der Schule aus konnten wir den Obelisken des Kriegsdenkmals sehen. Als wir näher kamen mussten wir feststellen, dass sich augenscheinlich auch um dieses Denkmal niemand mehr kümmert. Das Areal war umzäunt und das Gittertor war mit einem Vorhängeschloß, das allerdings gar nicht alt aussah, gesichert. Durch die Treppenstufen bahnte sich Gras ans Tageslicht und von der Inschrift des Obelisken war kaum noch etwas zu lesen.
Von da aus machten wir uns auf den Heimweg. Das heisst, nach einer ca. 30-minütigen Wanderung über Feldwege und durch andere Häuseransammlungen erreichten wir eine Hauptstraße, an der wir auf einen Bus Nach Wuhan warteten. Zum Glück kam nach kurzer Wartezeit ein etwas komfortablerer Reisebus, der uns für fast kein Geld wieder zurück brachte.
Insgesamt war nun ein sehr interessanter Tag zu Ende. Wir haben gesehen und erlebt wir wirklich einfache Menschen auf dem Land leben. Ich staune immer wieder über den Gleichmut und die Gelassenheit, mit der diese Menschen ihre Situation ertragen und trotzdem keinen unglücklichen Eindruck machen.

Auf dem Land - Teil 1

Diesen 1. Mai hatte ich mir mit meinem Kollegen etwas ganz besonderes vorgenommen. Wir wollten einmal der Hektik Wuhans entfliehen und haben die Einladung meiner chinesischen Bekannten angenommen, die uns eingeladen hatte, uns ihren Geburtsort außerhalb Wuhans zu zeigen. Sie warnte uns vor, dass es sehr "poor" (arm) aussehen würde. Aber das ist es ja gerade, was wir wollten. Einmal dorthin zu kommen, wo es unverfälscht "chinesisch" aussieht und wo weder ein ausländischer Tourist noch ein anderer Ausländer jemals hingekommen ist.Also ging es gegen 08:00 Uhr los mit einem normalen Linienbus zu einem Busbahnhof nach Hankou. Dort wurde gerade ein neuer gebaut und so diente lediglich die Straße als Busbahnhof. Als Fremder und vor allem der Sprache unkundiger wäre es unmöglich geworden, den richtigen Kleinbus zu finden. Die Busse standen ziemlich planlos herum und man musste die Busbegleiterin fragen, wo den der jeweilige Bus hinfährt. Der Kleinbus, der uns in die Nähe von Helens Geburtsort bringen sollte war eigentlich schon voll. Für uns wurde zusammengerückt und dann wurden im Gang zwischen den Bänken kurzerhand kleine zusammenklappbare Holzbänkchen aufgestellt. So passten noch 10 Chinesen zusätzlich in den Bus. Dann ging es in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Landschaft. Ich glaubte, der Fahrer verwechselte dauernd die Hupe mit dem Gas. Jedenfalls wurde auch bei für mich nicht sichtbaren Gründen kraftvoll gehupt. Zum Glück saß ich mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und brauchte so den Gefahren nicht dauernd ins Gesicht zu schauen. Bis wir den Kern von Wuhan wirklich hinter uns gelassen hatten verging nach ca. eine halbe Stunde. Dann wurde es ländlich. Das Land ziemlich Flach und jede mögliche Fläche wurde genutzt um irgend etwas anzubauen. Auch hier hat mich wieder wie während der Fahrt nach Yichang gewundert, dass es keine großen zusammenhängenden Felder gab. Eigentlich eine Parzellenwirtschaft. Mir ist es immer noch ein Rätsel, von wem die ca. 4 Millionen Wuhaner, die im Stadtkern wohnen, versorgt werden. Nach ungefähr 90 Minuten rasanter Fahrt stiegen wir an einer Häusergruppe aus. Nun hieß es noch ca. eine halbe Stunde zu Fuß zu gehen. Das Wetter war herrlich, also machte uns das nichts aus.
Helens Vater, der vor ca. 10 Jahren gestorben ist, liegt in der Nähe ihres Geburtsortes begraben. Nicht auf einem Friedhof, sondern mitten zwischen kleinen Feldern steht eine Baumgruppe, unter der sich der Grabhügel mit einem Grabstein befindet. Nach altem Brauch wollte Helen am Grab ihres Vaters Papiergeld verbrennen. Nach chinesischem Glauben braucht der Verstorbene das Geld im Jenseits. In Wuhan war allerdings nirgends welches aufzutreiben, also mussten wir uns hier auf die Suche machen. Nachdem Helen mehrere Bewohner in unterschiedlichen Dörfern (oder besser Ansammlung von Häusern oder Hütten) gefragt hatte machten wir uns einem der kleinen Dörfer auf die Suche nach der Verkaufsstelle. Es gab keine befestigte Straße und die Häuser waren irgendwie planlos angeordnet. So etwas wie Straßenzüge gab es eigentlich nicht. Was mich allerdings am meisten erschreckte war der allgegenwärtige Müll. So etwas wie eine geregelte Müllabfuhr gibt es in den Dörfern nicht. Ich hatte den Eindruck, als wenn jeder seinen Müll einfach vor die Tür wirft. Es sah zum Teil wirklich slumartig aus. Wir begegneten dann Jungen aus dem Dorf, die uns zur Verkaufsstelle führten. Verkaufsstelle ist eigentlich übertrieben. In einem maroden Haus befand sich im Erdgeschoß ein vergittertes Fenster durch das eine Frau aus dem dunklen Raum heraus Kleinigkeiten des täglichen Bedarfs verkaufte. Aber es gab zum Glück das gesuchte Papiergeld und sogar gekühltes Mineralwasser. Helen kaufte auch noch ein riesiges Paket Knallfrösche, deren Zweck sie uns erst später klar machte. Durch die Mittagshitze ging es dann zum Grab ihres Vaters. Hier verbrannte Helen vor dem Grabstein den größten teil des Papiergeldes. Den Rest verteilte ihr Sohn gleichmäßig rund auf dem Grabhügel. Das gelbliche Papier, das Geld versinnbildlichen soll besteht aus einer Art faserigen Papier, das sicher ziemlich schnell verrottet, also der Umwelt keinen großen Schaden zufügt. Nachdem Helen ihrem Vater mit einer stillen Andacht und Verbeugungen gedacht hatte wurde die lange Knallfroschkette um dem Grabhügel gelegt und angezündet. Mit dem ohrenbetäubenden Lärm wird bei dem Toten angeklopft und ihm mitgeteilt, dass man da war und seiner gedacht hat. Die ganze Zeremonie war von großer Geschäftigkeit geprägt. Nun kann ich mir vorstellen, wie es auf einem gewöhnlichen Friedhof zugeht, wenn dort viele Menschen gleichzeitig ihrer Angehörigen gedenken