Es ist schon kraß. Du stehst um 21:00 Uhr bei 34 Grad Hitze auf dem Hong Shan-Platz, der große Springbrunnen fängt an zu sprudeln und seine Fontänen bewegen sich im Rythmus der "Internationale", dem alten kommunistischen Kampflied, auf und ab. Ringsum kreischen kleine Kinder und haschen nach jedem Tropfen Wasser und hinter deinem Rücken die Werbung von McDonald's und Co. Was ist das nun? Sterbender Kommunismus, aufblühender Frühkapitalismus oder eine Mischung von allem? Es ist gibt wohl keine bessere Bezeichnung als die, die meine Kollegen bei jeder Gelegenheit benutzen, bei der etwas zu erklären versucht wird, was eigentlich nicht erklärt werden kann - "The Chinese Way".
Was gab es sonst noch an diesem Wochenende als die Internationale zu sprudelnden Fontänen und einer fast unerträglichen Hitze?
In der Nacht zum Samstag natürlich das Fußballspiel Deutschland-Argentinien mit diesem nervenaufreibenden Elfmeterschießen. Im "York" war kein Platz vor der Beamer-Leinwand mehr zu haben und es gab zwar kein Meer aus schwarz-rot-gold aber eindeutig dominierte diese Farbkombination. Während des Elfmeterschießens erklangen dann auch "Deutschland, Deutschland"-Rufe. Das fand ich dann nicht mehr so witzig. Für solch übersteigerten, durch Alkohol geförderten sogenannten Patriotismus kann ich mich einfach nicht begeistern. Anschließend ging es noch ins "Soho", eine Diskothek. Dort hatte ein Kollege noch eine halbe Flasche Wodka zu stehen, die auf Leerung wartete. Und das "Soho" hat mich wieder umgehauen. Sicher habe ich nicht mehr das passende Alter für eine derartige Disko, aber als Ausländer fällt man da weniger auf. Ich weiß nicht, ob es etwas derartiges in Schwerin oder einer anderen großen Stadt in Meck-Pomm gibt. Als wir reinkamen empfing uns dröhnender Beat und der ganze Saal bebte und wogte. Es gab keine eigentliche Tanzfläche sondern nur Stehtische und getanzt wurde da, wo man stand. Auf riesigen Bildschirmen lief natürlich auch die Fussball-WM. Erstaunlicherweise war die Luft relativ sauber und es war gut klimatisiert. Auf der Toilette wurde permanent gesäubert und auch durch den Saal gingen ständig Reinigungskräfte und räumten den Dreck weg, der einfach so weggeworfen wurde. Also wieder mal ein Ort, den ich so hier nicht erwartet hätte und den man sich in Deutschland oder anderswo außerhalb Chinas sicher schwer vorstellen kann. Letztendlich war die Nacht gegen fünf mit der obligatorischen Taxifahrt zur Unterkunft zu Ende.
Und am Samstag wieder mal Fußball. Dieses Mal gemeinsam mit Kollegen vom FSDI gegen eine Studentenmannschaft der Eisenbahn-Akademie hier in Wuhan. Bei einer Hitze von 36 Grad wurde um 17:00 Uhr für 2 mal 30 Minuten angestoßen. Die chinesischen Studenten gewannen mit 3:2, was bei dem Altersunterschied nicht weiter überraschend war. Aber wie schon beim letzten Spiel war die Hauptsache das Dinner danach. Es wurde aufgetafelt, als gelte es doppelt soviel Leute zu versorgen als anwesend waren. Und wer wollte, konnte sogar an einer Schildkröte kauen oder schlürfen. Das entsprach allerdings nicht so ganz meinem Geschmack. Es wäre müsig alle Gerichte aufzuzählen. Schaut Euch einfach die Bilder an. Wie scharf das alles gewürzt, war spürte mein Kollege, der 10 Minuten nicht mehr sprechen konnte (oder wollte) weil die Entenbrust extrem stark gewürzt war. Da half auch kein Nachspülen mit Erdinger Weißbier. Als wir nach ca. 2 Stunden das Schlachtfeld verließen und wieder nach draußen kamen war es zwar schon dunkel - das wird es hier sowieso eher als in Mitteleuropa - aber es waren auch noch 35 Grad. Wie man sich da nach reichlich Biergenuss und vollem Magen fühlt brauche ich wohl nicht zu beschreiben.
Der Sonntag verlief, jedenfalls für mich, relativ ruhig. Relativ deshalb, weil die Renovierungsarbeiten in einem Appartement auf meiner Etage noch immer nicht abgeschlossen sind und gegen 8 Uhr die Kreissägen und Bohrmaschinen ihren ohrenbetäubenden Lärm durch den Beton schickten. Die Hitze draußen war so groß, dass ich es vorzog im klimatisierten Appartement zu bleiben und endlich in Ruhe zu lesen. "Landleben" von John Updike ist ein Buch, in das man sich erst hineinlesen muss. Wenn man sich aber erst hineingelesen hat, schaut man nicht mehr auf die Uhr und vergisst auch, irgendwas zu sich zu nehmen. Sehr zu empfehlen. Ja und am Abend dann noch nochmal zum Hong Shan-Platz. Was da los war - siehe oben....