Bimbo's Blog

01 Mai 2008

Auf dem Land - Teil 2

Als wir das Grab ihres Vaters verließen, traf Helen ihre Tante, die uns spontan zum Mittagessen einlud. Auch wenn Helen meinte, wir könnten der Tante nicht zur Last fallen, wollten wir sie nicht brüskieren und versprachen, bei ihr vorbei zu schauen. Vorher wollte uns Helen aber noch das Haus zeigen, in dem ihr Vater bis zu seinem Tod gelebt hatte und das 6 Monate vorher bezogen wurde. Also muss es ca. 10 Jahre alt sein. Als wir dann allerdings ankamen waren wir doch etwas erschrocken. Nach der Bausubstanz zu urteilen hätte ich das Haus auf mindestens 40 Jahre geschätzt. Es war seit der Errichtung nirgendwo mehr Hand angelegt worden. Alles zeigte bereits Spuren des Verfalls: der Putz bröckelte überall ab, die Stufen zur Terrasse waren beschädigt und zerbröckelten und innen war alles ziemlich runter gewirtschaftet. Ein Vergleich mit unserem Reihenhaus in Schwerin, das nun knapp 15 Jahre alt ist, überhaupt nicht möglich. Auch in diesem Haus gab es kaum Möbel, das einzige größere Stück war so etwas wie ein Familienaltar. Helen jedenfalls war glücklich, uns das Haus ihres Vaters zeigen zu können, das ihre Mutter allerdings ein paar Jahre später verkaufte. Auf dem Weg zu ihrer Tante kamen wir auch an dem Haus, oder besser der Lehmhütte vorbei, in der Helen geboren wurde. Die war nun nicht mehr bewohnt. Unterwegs zu ihrer Tante lag der übliche Müll auf den Wegen und ab und zu kam man auch an der Rückseite eines Plumsklos vorbei, das nach Aussehen und Geruch noch voll in Benutzung war. Von ihrer Tante wurden wir überschwänglich begrüßt und ins Haus gebeten. Eigentlich war es hier noch deprimierender als im ehemaligen Haus von Helens Vater. Im Aufenthaltsraum standen einige sehr unterschiedliche Stühle oder auch Plastikhocker und ein Tisch. An einer Wand befand sich der Familien- oder Hausaltar. Ansonsten gingen von dem Raum einige andere Zimmer ab, die zum einem als Schlafraum, aber auch als Abstellraum oder Schuppen dienten. Nach oben hin war der Raum offen bis unters Dach. Wie die Menschen hier den kalten Winter überlebt haben ist mir ein Rätsel. Helens Tante servierte uns trotz der ärmlichen Einrichtung ein schmackhaftes Mittagessen und wir hielten uns noch eine Weile im kühlen Haus auf. Bei dieser Gelegenheit erzählte uns Helen vom Denkmal für ca. 70 von den Japanern als Vergeltung ermordeten Dorfbewohnern. Sie wurden erschossen oder bei lebendigem Leib begraben weil zwei Chinesen einen japanischen Soldaten, der eine Chinesin vergewaltigen wollte ihrerseits ums Leben brachten und ihn in einem See versenkten. Auf dem Weg zum Denkmal passierten wir noch Helens Grundschule, die jetzt eine verlassene, aber ummauerte Ruine war. So lange konnte es allerdings nicht her sein mit dem Einsetzen des Verfallsprozesses, denn auf dem Dach der Schule war eine große Satellitenempfangs-Schüssel montiert. Vom Standort der Schule aus konnten wir den Obelisken des Kriegsdenkmals sehen. Als wir näher kamen mussten wir feststellen, dass sich augenscheinlich auch um dieses Denkmal niemand mehr kümmert. Das Areal war umzäunt und das Gittertor war mit einem Vorhängeschloß, das allerdings gar nicht alt aussah, gesichert. Durch die Treppenstufen bahnte sich Gras ans Tageslicht und von der Inschrift des Obelisken war kaum noch etwas zu lesen.
Von da aus machten wir uns auf den Heimweg. Das heisst, nach einer ca. 30-minütigen Wanderung über Feldwege und durch andere Häuseransammlungen erreichten wir eine Hauptstraße, an der wir auf einen Bus Nach Wuhan warteten. Zum Glück kam nach kurzer Wartezeit ein etwas komfortablerer Reisebus, der uns für fast kein Geld wieder zurück brachte.
Insgesamt war nun ein sehr interessanter Tag zu Ende. Wir haben gesehen und erlebt wir wirklich einfache Menschen auf dem Land leben. Ich staune immer wieder über den Gleichmut und die Gelassenheit, mit der diese Menschen ihre Situation ertragen und trotzdem keinen unglücklichen Eindruck machen.