Bimbo's Blog

15 März 2007

Über dem Ural

Wenn man im Flugzeug von Peking nach Europa unterwegs ist, liegt kurz vor dem Überqueren des Urals mehr als die Hälfte der Flugstrecke hinter einem. Der heutige Flug mit Austria Airlines verläuft doch recht unruhig. Damit meine ich nicht etwa irgendwelche Turbulenzen, durch die sich das Flugzeug manövrieren muss. Ganz im Gegenteil. Aus dieser Sicht ist alles hervorragend. Was ich mit unruhig meine ist zum einem das Kleinkind ungefähr 5 Reihen vor mir, das in unregelmäßigen Abständen aber verlässlich lautstark seinen Protest über über irgendwelche Unannehmlichkeiten zum Ausdruck bringt. Zum anderen sind es die zwei Typen rechts von mir, von denen mich Gott sei Dank der Gang trennt. Kurz nach dem Start der Maschine lösten sie fast ein Handgemenge aus weil sie absolut nicht damit einverstanden waren, dass die Passagiere vor ihnen ihre Sessel ankippten. Nach lautstarkem Hin und Her musste eine resolute Flugbegleiterin den Streit schlichten, der wirklich zu eskalieren drohte. Jetzt schlafen sie. Ich hoffe, das bleibt bis zur Ankunft in Wien so.
Wie ich schon in vorhergehenden Beiträgen geschrieben habe, ist jetzt alles zur Routine geworden. Ich muss zugeben, dass ich fast Schuldgefühle verspüre, weil ich dieses Mal nicht die Tage bis zum Heimflug gezählt habe und weil mir zum ersten Mal auch der Gedanke, dass ich in zweieinhalb Wochen wieder in Wuhan sein werde, keinen Schrecken einjagt. Aber das hat halt mit dem Gewöhnungsprozess zu tun, der nach 10 Monaten unweigerlich diese Stimmungen hervorbringt. Ich bin zwar durch täglich mindestens ein Telefongespräch mit meiner Frau und durch sporadisches Chatten mit meinen drei an unterschiedlichen Orten lebenden Kindern mit der Heimat verbunden, aber trotzdem kann ich ein Gefühl des Abgekoppelt seins nicht verleugnen. Es lässt sich doch nicht alles aus 8.000 Kilometer Entfernung regeln und klären. Und der Tritt in den Hintern meines Sohnes, den er ab und zu gebrauchen könnte, verfehlt auf diese Distanz auch seine Wirkung. Und nicht zuletzt tragen zu der abgeklärten Stimmung auch die Veränderungen bei der Arbeit bei, die sich in den letzten Wochen wesentlich interessanter gestaltete. Und auch die gelegentlichen Treffen mit Helen tragen auf der einen Seite dazu bei, China aus erster Hand kennenzulernen und auf der anderen Seite vergeht so die Zeit schneller.

10 März 2007

Interessante Arbeit und interessante Fragen

Ich kann es nicht leugnen, nach über 9 Monaten in Wuhan hat man sich endgültig eingewöhnt. Das Straßenbild erscheint einem als kenne man es schon ewig. Die manchmal etwas ungwohnten Verhaltensweisen der Chinesen stören mich schon lange nicht mehr bzw. ich stufe sie nicht mehr als etwas Besonderes ein. Und das Merkwürdigste ist, man zählt die Wochen oder Tage bis zum nächsten Heimflug nicht mehr. Ich denke, das ist das untrüglichste Zeichen dafür, dass man in China angekommen ist. Ein anderer wichtiger Punkt ist aber auch, dass sich seit einigen Wochen im dienstlichen Umfeld etwas getan hat. Ich war nun in kürzester Zeit bereits dreimal auf der Baustelle. Gestern wurde ich sogar Hals über Kopf zu einem kurzen Trip eingeladen, während dem mir die chinesischen Kollegen zeigten, wie sie die für Deutschland unüblichen Erdungsleitungen links und rechts neben dem zukünftigen Gleis in den Boden einbringen. Solche ad-hoc-Fahrten sind normalerweise unüblich. Damit gestaltet sich natürlich die gesamte Consulting-Tätigkeit wesentlich interessanter und die Folge davon ist, dass die Zeit (scheinbar) schneller vergeht.
Beim Lernen der chinesischen Sprache habe ich leider noch keine sichtbaren, oder besser gesagt hörbaren Fortschritte gemacht. Meine Lehrerin hat wegen ihrer extrem unregelmäßigen Arbeitszeit wenig Zeit. Gerade an diesem Punkt lassen sich wieder sehr große Unterschiede zwischen China und den westlichem Ausland festmachen. Ich denke, in Deutschland würde es nicht notwendig sein, dass eine geschiedene Frau mit einem neunjährigen Sohn fast jedes Wochenende von Samstag 8 Uhr bis Sonntag 8 Uhr arbeiten muss. Da würden sich der Betriebsrat, die Gewerkschaft und andere Institutionen sicher für familienfreundlichere Arbeitszeiten einsetzen. Hier scheint das nicht möglich zu sein. Abgesehen davon, dass Nachtschicht- oder Wochenendzuschläge zumindest in Helens Unternehmen unbekannt sind. Da schickt sie ihren Sohn schon von Montag bis Freitag in eine Ganztagesschule (mit Übernachtung) und am Wochenende muss sie sich auch noch Gedanken darüber machen, wer ihren Sohn betreut. Eine sehr interessante Frage hat sie mir vor einigen Tagen gestellt. Wer kümmert sich in Deutschland um die Eltern, wenn diese älter geworden sind und nicht mehr arbeiten, von was Leben sie? Der Hintergrund für ihre Frage war eindeutig das Problem, dass in China das historische Familienbild bröckelt. Früher haben sich die oft zahlreichen Kinder um ihre Eltern gekümmert, wenn diese älter wurden. Durch die Folgen der proklamierten Ein-Kind-Ehe sehen viele Chinesen in mittleren Jahren die Gefahr, dass sich niemand um sie sorgen wird, wenn sie einmal alt sind. Die Mehrzahl der Chinesen hat keine Möglichkeit für das Alter irgendwelche Reserven anzulegen um dann in ein Pflegeheim oder etwas ähnliches zu ziehen. Ich denke, dieses Problem wird in den nächsten Jahren noch eskalieren.